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Weihnachtsbotschaft des Ökumenischen Patriarchen

+ B A R T H O L O M A I O S
durch Gottes Erbarmen Erzbischof von Konstantinopel, dem Neuen Rom,
und Ökumenischer Patriarch
allem Volk der Kirche Gnade, Erbarmen und Friede
von Christus, unserem in Bethlehem geborenen Erlöser

 

In Gott geliebte Brüder, im Herrn geliebte Kinder,

wir preisen den allheiligen und allbarmherzigen Gott, dass wir auch in diesem Jahr wieder gewürdigt wurden, zu diesem großen Tag des Festes der Geburt Christi zu gelangen, zum Fest der Fleischwerdung des vorewigen Sohnes und Wortes Gottes „für uns Menschen und um unseres Heiles willen“. Wegen dieses „immerwährenden Mysteriums“ und „großen Wunders“ der göttlichen Menschwerdung wird „die große Wunde“, der im Dunkel und Schatten des Todes sitzende Mensch ein „Sohn des Lichtes und des Tages“ (1 Thess 5,5) und es öffnet sich für ihn der Weg der gnadenhaften Vergöttlichung. Im gottmenschlichen Mysterium der Kirche und durch ihre heiligen Sakramente wird Christus in unserer Seele und unserer Existenz geboren und gebildet. „Das Wort Gottes“, sagt der hl. Maximos d. Bekenner, „das einmal im Fleisch geboren wurde, wird geistig aus Menschenliebe für die geboren, die es wollen. Und es wird ein kleines Kind dadurch, dass es in ihnen durch die Tugenden Gestalt annimmt, soweit es der, der es aufnimmt, vermag.“ (Maximus, Diverse theologische und heilsgeschichtliche Kapitel PG 90, 1181) Gott ist keine Idee wie der Gott der Philosophen noch ein in seine absolute Transzendenz eingeschlossener und unzugänglicher Gott. Sondern es ist „Emmanuel“, „Gott mit uns“ (vgl. Mt 1,23). „Er ist uns näher und verwandter als wir selbst es uns sind.“ (Nikolaus Kabasilas, Das Leben in Christus, 6. Kapitel)

Der Glaube an die unzugängliche und unstoffliche Gottheit verwandelt nicht das Leben des Menschen, hebt die Polarität zwischen Materie und Geist nicht auf, überbrückt nicht den Abgrund zwischen Himmel und Erde. Die Fleischwerdung des Wortes Gottes ist die Offenbarung der Wahrheit über Gott und Mensch, die das Menschengeschlecht aus den finsteren Labyrinthen des Materialismus und der Überbetonung des Menschen, des Idealismus und des Dualismus befreit. Dass die Kirche den Nestorianismus und den Monophysitismus verurteilt hat, bedeutet die Verwerfung zweier genereller Bestrebungen der menschlichen Seele: einerseits der Verabsolutierung des Anthropozentrismus und andererseits der Idealisierung der idealistischen Auffassung vom Leben und von der Wahrheit. Dies sind Irrwege, die in unserer Zeit besonders weit verbreitet sind.

Der zeitgenössische „Nestorianismus“ hat die Gestalt der Säkularisierung, der übertriebenen Betonung der Wissenschaft und der Verabsolutierung der utilitaristischen Erkenntnis, der absoluten Eigengesetzlichkeit der Wirtschaft, der frevelhaften und hochmütigen Selbsterlösung, der „Unkultur“ des Anthropozentrismus und des Wohlstandsdenkens, des Legalismus und Moralismus, des „Endes der Scham“ und bezeichnet schließlich die aufopfernde Liebe und die Umkehr als „Moral der Schwachen“. Der „Monophysitismus“ wiederum stellt sich heute in den Tendenzen der Dämonisierung des Leibes und des physischen Menschen, im Puritanismus und den Syndromen der „Reinheit“, in der introvertierten, unfruchtbaren Spiritualität und den vielfältigen Mystizismen, in der Verachtung der Rationalität, der Kunst und der Kultur, in der Leugnung des Dialoges und der Verwerfung der Diversität dar. Seine besonders gefährliche Form im Namen „der einzigen und ausschließlichen Wahrheit“ ist der religiöse Fundamentalismus, der sich auf Verabsolutierungen und Verwerfungen stützt und Gewalt und Spaltung hervorruft. Es ist offensichtlich, dass sowohl die aus dem Nestorianismus hervorgehende Vergöttlichung der Welt wie auch ihre aus dem Monophysitismus hervorgehende Dämonisierung die Welt, die Geschichte, die Kultur und die Zivilisationen den Mächten „dieser Welt“ ausliefern und so deren Autonomisierung und deren Ausweglosigkeiten zementieren.

Der christliche Glaube ist die Gewissheit der Erlösung des Menschen durch die Liebe Gottes. Gott hat aus Menschenliebe unsere Natur angenommen und hat uns die durch den Sündenfall verlorene Möglichkeit eines Lebens „nach seinem Gleichnis“ wieder geschenkt. Er hat uns befähigt, ein Leben gemäß der Wahrheit in seinem Leib, der Kirche, zu führen. Das ganze Leben der Kirche bringt das Mysterium der Gottmenschheit zum Ausdruck. Der gottmenschliche Erlöser nahm das „Fleisch der Kirche“ (Johannes Chrysostomus, Rede vor der Verbannung, PG 52, 429) an und offenbarte „als Erster und Einziger“ „den durch die Lebensweise und durch alles andere wahren und vollkommenen Menschen“ (Nikolaus Kabasilas, Das Leben in Christus, 6. Kapitel, PG 150, 680) Die Kirche Christi ist der Ort „des gemeinsamen Heils“, „der gemeinsamen Freiheit“ und der Hoffnung auf „das gemeinsame Reich“. Sie ist die Weise der Erfahrung der befreienden Wahrheit, deren Kern das „die Wahrheit in der Liebe Bewahren“ ist. Diese Liebe überschreitet die Grenzen des einfachen humanitären Handelns, denn ihre Quelle und ihr Vorbild ist die den menschlichen Verstand übersteigende göttliche Menschenliebe. „Darin ist die Liebe Gottes unter uns erschienen, dass Gott seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch Ihn leben. Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass Er uns geliebt hat … Geliebte, wenn Gott uns so geliebt hat, müssen auch wir einander lieben.“ (1 Joh 4,9-11). Wo Liebe ist, da ist Gott gegenwärtig.

Diese rettende Wahrheit soll sich auch in der Weise ausdrücken, in der wir das ehrwürdige Fest der Geburt des Erlösers, der zu uns aus der Höhe herabgekommen ist, feiern. Das Fest ist immer “Fülle der Zeit“, Zeit der Selbsterkenntnis, des Dankes für die Größe der göttlichen Menschenliebe, Zeugnis für die Wahrheit des wahren Gottes und wahren Menschen und für die Freiheit in Christus. Die von Liebe zu Christus erfüllte Feier der Fleischwerdung des Wortes Gottes ist eine Handlung des Widerstandes gegen die Säkularisierung, gegen die Entleerung des Festes und seine Verkehrung in ein „Weihnachten ohne Christus“ und in eine Feier des materiellen Reichtums, des Konsums und der Oberflächlichkeit, sie bedeutet Widerstand gegen eine von sozialen Spannungen, Umwertungen, Verwirrung, Gewalt und Ungerechtigkeit erfüllte Welt, in der das „Kind Jesus“ wiederum unerbittlicher Ausbeutung durch diverse Mächte ausgesetzt ist.

Ehrwürdige Brüder, geliebte Kinder,

eine Generation geht und eine Generation kommt, und die kommenden Entwicklungen sind schwer vorauszusehen. Doch der wahre Glaube kennt keine Ausweglosigkeit. Das Wort ist Fleisch geworden, „die Wahrheit ist gekommen“, „der Schatten ist vergangen“, und wir haben schon Anteil am Reich, auch wenn wir noch auf dem Weg zur Vollendung des göttlichen Heilswerks sind. Wir haben die unerschütterliche Gewissheit, dass die Zukunft Christus gehört; dass sie dem gehört, „der gestern, heute und in Ewigkeit derselbe ist“ (Hebr 13,8), dass die Kirche Christi der Ort der Heiligung, des Lebens in Gott, der Erneuerung des Menschen und der Welt und der Vorgeschmack der Herrlichkeit des Reiches ist und bleibt. Dass sie fortfährt, „Zeugnis für das Evangelium zu geben“ und „in der Welt Gottes Gaben zu verteilen: Seine Liebe, den Frieden, die Gerechtigkeit, die Versöhnung, die Kraft der Auferstehung und die Erwartung der ewigen Welt“ (Enzyklika des Heiligen Großen Konzils, Kreta 2016, Einleitung). Die Gegenwartsideologie einer „postchristlichen“ Epoche ist töricht. Auch „nach Christus“ ist alles und bleibt alles in Ewigkeit „in Christus“.

Wir beugen gläubig unsere Knie vor dem göttlichen Kind von Bethlehem und vor Seiner allheiligen Mutter, die es in ihren Armen hält, beten den Mensch gewordenen „vollkommenen Gott“ an und erteilen aus dem nicht erlöschenden Phanar den über den ganzen Erdkreis verstreuten Kindern der Heiligen Großen Kirche Christi unseren patriarchalen Segen für die Zeit der heiligen zwölf Tage und wünschen allen ein gesundes, fruchtbares und von Freude erfülltes neues Jahr der Güte des Herrn.

Weihnachten 2018
+ Patriarch Bartholomaios von Konstantinopel,
Euer aller inständiger Fürbitter bei Gott